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Waffenchaos in Behörde

Kategorie: Waffenrecht, Sonstiges
Von: t-online.de

Schmauchspuren im Pistolenlauf

Vor kurzem wurde bekannt, dass in Schleswig-Holstein 120 Waffen in einer Behörde verschwunden sind. Nun gerät sie in einem weiteren Fall unter Druck: Mit einer bei ihr verwahrten Pistole wurde offenbar unerlaubt geschossen.

Seit mehr als 20 Jahren ist Michael Thiele Vorsitzender der Reservistenkameradschaft Husum in Nordfriesland. In dem Verein haben sich ehemalige Bundeswehrsoldaten zusammengeschlossen, die sich nach ihrem Ausscheiden weiter für die Truppe, aber auch für Waffen interessieren. Regelmäßig organisiert der Verein auch Schießsportveranstaltungen, weshalb er auch Waffen besitzt. Für diese Waffen war unter anderem Thiele verantwortlich. Er kaufte sie und sorgte dafür, dass sie ordnungsgemäß angemeldet werden. Nie gab es Probleme, bis Anfang 2019.

Damals wollte Thiele eine weitere Waffe bei der Behörde melden. Doch eine neue Mitarbeiterin der Husumer Waffenbehörde entzog ihm die waffenrechtliche Erlaubnis. Thiele gab die Waffe daraufhin ab. Danach war sie mehr als ein Jahr lang in der Behörde unauffindbar. Als sie wieder auftauchte, zeigte sich: Mit der Waffe war geschossen worden, während sie in der Behörde verwahrt wurde – ohne dass es dafür eine Erklärung gab.

Der Fall ist einer von mehreren ungewöhnlichen Vorgängen in der Husumer Waffenbehörde und der schleswig-holsteinischen Landespolizei. Zuletzt hatte t-online über 120 Gewehre berichtet, die dort einfach verschwunden sind. Längst fragen sich auch Politiker in Schleswig-Holstein, was in den zuständigen Behörden los ist.

Waffenbesitz klar geregelt

Um in Deutschland eine Waffe zu erwerben, benötigt man eine waffenrechtliche Erlaubnis. Hierfür muss man volljährig sein, Sachkenntnisse im Umgang mit Waffen sowie ein waffenrechtliches Bedürfnis nachweisen, etwa als Sportschütze oder Jäger. Vor allem aber muss man waffenrechtlich zuverlässig, also persönlich geeignet sein. Als ehemaliger Bundeswehrsoldat und Vorsitzender der Reservistenkameradschaft konnte Michael Thiele all das nachweisen, weshalb er eine waffenrechtliche Erlaubnis besaß.

Jeder, der eine Waffe erwirbt, muss den Kauf normalerweise bei der Waffenbehörde voranmelden, sozusagen eine Erlaubnis für den Kauf einholen. Thiele meldete die P38 der Husumer Waffenbehörde aber erst, nachdem er die Pistole gekauft hatte. Das tat er, weil es geübte Praxis war, denn so hatte die Behörde es mit ihm schon vor Jahren abgesprochen. Bei allen Waffen, die auf den Verein angemeldet worden waren, hatte es keine Voranmeldung gegeben.

Neue Mitarbeiterin – neue Regeln

Eine neue Mitarbeiterin der Waffenbehörde sah das im Anfang 2019 nun aber plötzlich anders. Sie entzog Michael Thiele später die waffenrechtliche Erlaubnis – mit der Begründung: Er habe den Waffenkauf der Behörde nicht zuvor angemeldet.

Es folgte ein langer Rechtsstreit darüber, ob Thiele tatsächlich gegen das Waffengesetz verstoßen hatte oder ob er davon hätte ausgehen dürfen, dass die jahrelange Praxis rechtens war. Im Verwaltungsrecht gibt es einen sogenannten Vertrauensschutz. Bürger müssen darauf vertrauen, dass der Staat konsistent handelt. Behörden haben einen Ermessensspielraum, wie sie Vorschriften auslegen. Wenn sie jahrelang ein Vorgehen geduldet haben, kann der Bürger davon ausgehen, dass diese Praxis in Ordnung ist.

Verfahren eingestellt

Der ehemalige Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes in Leipzig hat es einmal so formuliert: "Die staatliche Rechtsordnung steht unter zwei leitenden Ideen. Auf der einen Seite soll sie inhaltlich gerecht sein. Insofern orientiert sie sich an der Leitidee der Gerechtigkeit. Auf der anderen Seite soll sie verlässlich sein."

Das Ermittlungsverfahren gegen Thiele wegen waffenrechtlicher Verstöße wurde im Januar 2020 eingestellt. Seine waffenrechtliche Erlaubnis erhielt er trotzdem nicht zurück. Deswegen versuchte Thieles Bruder, der ebenfalls Mitglied des Vereins ist und eine waffenrechtliche Erlaubnis besitzt, zusammen mit ihm die P38 abzuholen.

Waffe nicht auffindbar

Doch in der Waffenbehörde teilte die Mitarbeiterin den beiden mit, dass sie nicht wisse, wo die Pistole sei. Danach verging gut ein Jahr, in dem die Waffe offenbar nicht aufzufinden war. Mehrmals fragten Michael Thiele und sein Bruder vor Ort in der Behörde nach. Stets erhielten sie die gleiche Antwort: nicht auffindbar.

Die Waffenbehörde teilte t-online dazu mit, dass es keine Vermerke in der Akte gebe, die die Besuche der beiden dokumentieren. Michael Thiele und sein Bruder versichern t-online eidesstattlich, dass sie mehrmals versuchten, die Waffe abzuholen.
Bei Presseanfrage taucht die Waffe auf

Erst nachdem der t-online-Autor im März 2021 nachfragte, schrieb eine Mitarbeiterin der Behörde, dass die Waffe im Tresorraum des Kreishauses liege. Warum sie dann jahrelang nicht an Thieles Bruder zurückgegeben wurde, blieb offen.

Wenige Tage nach der Anfrage wurde Thieles Bruder die Waffe schließlich ausgehändigt. Thiele untersuchte sie daraufhin gründlich und stellte dabei fest: Im Lauf fanden sich Schmauchspuren – laut Thiele ein eindeutiges Zeichen dafür, dass mit der Waffe geschossen wurde.

Waffe vorher ultraschall-gereinigt

Bevor sie die Pistole bei den Behörden abgaben, das versichern die Brüder Thiele an Eides statt, hatten sie diese dreimal in einem Ultraschallbad gereinigt. "So gehen wir immer mit unseren Waffen um", sagt Michael Thiele. "Danach ist die Waffe klinisch rein." Die Schmauchspuren stammten daher auf keinen Fall aus der Zeit, als sie noch im Besitz des Vereins war, sagt Thiele.

Wer hat mit der Waffe geschossen?

Wer also hat damit geschossen? Das ist bislang völlig unklar. Das Landeskriminalamt, wo die Waffe theoretisch auch aufbewahrt worden sein könnte, teilte t-online mit, dass sie dort nicht zum Einsatz gekommen sei. Die Waffenbehörde antwortete t-online, dass auch in ihrem Besitz keine Schüsse aus ihr abgegeben wurden.

Thiele erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Ermittelt wurde jedoch nicht. "Wie kann es sein, dass die P38 verwendet wurde und keine Ermittlungsbehörde interessiert sich dafür?", fragt sich Thiele. Die Staatsanwaltschaft sah "keine strafrechtliche Relevanz" – trotz der möglichen Schüsse.

Die Waffenbehörde in Nordfriesland wird gerade auch wegen eines anderen Falls kritisiert. Im Oktober war bekannt geworden, dass 120 sichergestellte Waffen eines Sammlers in der Behörde nicht mehr auffindbar sind. t-online berichtete darüber. Die Vorfälle beschäftigen inzwischen auch die Landespolitik. Die SPD im Schleswig-Holsteinischen Landtag hat das Innenministerium aufgefordert, für Klarheit zu sorgen.